Positionspapier des BDP
Telepathologie und Homeoffice: Pathologische Diagnostik außerhalb des Instituts auch im Rahmen des Vertragsarztrechts möglich
Telepathologie und Homeoffice: Pathologische Diagnostik außerhalb des Instituts auch im Rahmen des Vertragsarztrechts möglich
Die medizinische Versorgung basiert nicht nur im Bereich der Krebsmedizin auf einer immer komplexeren und umfangreicheren pathologischen Diagnostik. Für diesen steigenden Diagnostikbedarf werden daher in Zukunft mehr Pathologinnen und Pathologen benötigt als heute. Gleichzeitig herrschen in der Pathologie, wie auch in anderen medizinischen und nicht medizinischen Berufen, ein Fachkräftemangel und Nachwuchsprobleme. Diese gegenläufigen Entwicklungen werden verschärft durch veränderte Lebensmodelle der nachwachsenden Generation, die sich nachhaltig auf den Umfang der zur Verfügung stehenden Arbeitskraft auswirken (Anstellungsverhältnis anstelle von Selbständigkeit, Teilzeitmodelle, eingeschränkte Mobilität und eingeschränkte Flexibilität durch doppelte Berufstätigkeit).
Bereits heute ist die Versorgung der Versicherten mit der erforderlichen pathologischen Diagnostik kaum noch zu leisten, perspektivisch ist mit Einschränkungen zu rechnen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken und die zeitnahe Versorgung der Patientinnen und Patienten aufrecht zu erhalten, ist es erforderlich, den Beruf zukunftsfähig auszugestalten, Effizienzreserven zu heben und Ressourcen innerhalb der bestehenden Strukturen und (vertragsärztlichen) Regelungen bestmöglich zugänglich zu machen.
Digitalisierung als Schlüssel einer Flexibilisierung der Arbeitsprozesse
Die Digitalisierung ermöglicht Effizienzsteigerungen durch Automatisierung von Prozessen sowie den Einsatz computergestützter Verfahren zur Unterstützung einzelner Prozessschritte bei der Befundung. Damit wirkt sie unterstützend und flexibilisierend bei der regelhaften Arbeitsteilung und Delegation von Arbeitsprozessen. Durch die Digitalisierung von histologischen Schnitten kann die Befundung leicht räumlich getrennt vom Labor und der technischen Aufbereitung der Probe am Bildschirm erfolgen. Dieses Vorgehen ist in der Radiologie mit primär digitaler Bilderstellung teilweise bereits seit langem Standard. So erfolgt im Mammographie-Screening die Erstellung der Mammographie in der Mammographie-Einheit, die unabhängige Doppelbefundung der digitalen Mammographie-Aufnahmen räumlich und zeitlich getrennt durch Radiologinnen und Radiologen in verschiedenen Praxen.
Virtuelle Mikroskopie und Telepathologie Standard in der Pathologie
Auch in der Pathologie hat sich die Befundung an digitalen Bildern reeller histologischer oder zytologischer Präparate, die „Virtuelle Mikroskopie“, bereits in der Praxis bewährt und wird in vielen pathologischen Instituten genutzt. Die Befundung an digitalen Bildern erlaubt in der Pathologie eine deutliche Vereinfachung bestimmter Arbeitsprozesse. Dazu zählen die Arbeit an mehreren Standorten, die Konsultation oder Zweitmeinung und die Supervision durch Pathologinnen und Pathologen an anderen Standorten. Diese virtuelle Mikroskopie an einem anderen Standort wird auch als Telepathologie bezeichnet.
Technisch und organisatorisch möglich ist auch mobiles Arbeiten, also die Befundung digitaler Bilder an einem oder mehreren festen Ort außerhalb des pathologischen Instituts. So kann beispielsweise die Wartezeit zwischen den einzelnen Schnellschnitten in einem Krankenhaus genutzt werden, um digitale Bilder aus dem Institut zu befunden. Die zeitweise Telepathologie an einem häuslichen Arbeitsplatz, im Homeoffice, ermöglicht pathologische Diagnostiktätigkeit während/parallel zu Sorgearbeit oder eine flexible Gestaltung zum Beispiel von Teilzeittätigkeit. Diese Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung werden bereits von einigen Instituten zur Aufrechterhaltung der Versorgung der Patientinnen und Patienten eingesetzt, derzeit für Fälle außerhalb des Vertragsarztrechtes. Eine Ausweitung auf Fälle innerhalb des Vertragsarztrechts würde bisher ungenutzte Effizienzreserven für die Gewährleistung der zeitnahen pathologische Diagnostik heben.
Telepathologische Befundung innerhalb des Vertragsarztrechts
Arbeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes, bei dem einzelne Pathologinnen und Pathologen zeitweise außerhalb des Instituts befunden, während Kolleginnen und Kollegen die ärztlichen Leistungen insb. die Überwachung der delegierbaren Leistungen im Institut erbringen, ist auch im Rahmen des Vertragsarztrechtes möglich. Die Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) regelt grundsätzlich, dass der Vertragsarzt eine Zulassung für den Ort der Niederlassung (Vertragsarztsitz), also seine Praxis bzw. sein Institut, erhält und dort tätig werden muss (§24 Abs. 1 und 2 Ärzte-ZV). Allerdings sind Ausnahmen vorgesehen.
Eine davon ist der ausgelagerte Praxisraum (§ 24 Abs. 5 Ärzte-ZV). In ausgelagerten Praxisräumen können „spezielle Untersuchungs- und Behandlungsleistungen“ erbracht werden. In Bezug auf die Interpretation von „speziellen“ Leistungen urteilte das BSG 2015, dass „in ausgelagerten Praxisräumen und in der Hauptpraxis […] gleiche Leistungen erbracht werden [dürfen]“[1]. „Die vom Senat in der Vergangenheit für die Annahme ausgelagerter Praxisräume aufgestellte Forderung, dass in den ausgelagerten Praxisräumen Leistungen erbracht werden, die in der Hauptpraxis nicht erbracht werden können […], findet in der Ärzte-ZV keine Stütze und ist nach den Änderungen des einschlägigen Berufsrechts überholt.“[2] Folglich kann die Pathologin oder der Pathologe sowohl am Vertragsarztsitz als auch in einem ausgelagerten Praxisraum befunden. Die Tätigkeit in einem ausgelagerten Praxisraum bedarf keiner Genehmigung, sie muss bei der KV lediglich angezeigt werden (§24 Abs. 5 Ärzte-ZV).
Eine weitere Ausnahme kam durch das Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz – DigiG) vom 26.03.2024 hinzu. Der Ärzte-ZV wurde in §24 ein neuer Absatz 8 hinzugefügt: „(8) Die vertragsärztliche Tätigkeit darf in Form einer Videosprechstunde außerhalb des Vertragsarztsitzes erbracht werden, sofern der Vertragsarzt seiner Verpflichtung nach § 19a Abs. 1 Satz 2 und 3 am Ort seines Vertragsarztsitzes nachkommt“. Letzteres bezieht sich auf den Versorgungsauftrag vor Ort. Vertragsärztliche Leistung in der Pathologie ist die Erstellung pathologisch-anatomischer Befunde, die danach auch außerhalb des Vertragsarztsitzes als Videosprechstunde erbracht werden können.
Die berufsrechtlichen Regelungen der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä) stützen die beschrienen Optionen. Gemäß §17 Abs 1 und 2 ist die „Ausübung ambulanter ärztlicher Tätigkeit […] an die Niederlassung in einer Praxis (Praxissitz) gebunden“, wobei es „Ärztinnen und Ärzten […] gestattet [ist], über den Praxissitz hinaus an zwei weiteren Orten ärztlich tätig zu sein.“ Ein solcher Ort könnte ein Homeoffice oder ein Arbeitsplatz für die Schnellschnittdiagnostik sein. Zu beachten ist, dass die MBO-Ä keine ambulante Tätigkeit im Umherziehen erlaubt, mobiles Arbeiten ist damit auf festgelegte Arbeitsorte beschränkt. Sofern mehrere Orte für die Schnellschnittdiagnostik aufgesucht werden, kann von der Ausnahmeregelung für „aufsuchende medizinische Gesundheitsversorgung“ gemäß §17 Abs. 3 MBO-Ä Gebrauch gemacht werden.
Unabhängige Prozessschritte und Arbeitsteilung ermöglichen räumlich Trennung
Ausgelagerte Praxisräume müssen sich in „räumlicher Nähe“ zum Vertragsarztsitz befinden (§ 24 Abs. 5 Ärzte-ZV). Die aktuelle Rechtsprechung des BSG[3] sieht für ausgelagerte Praxisräume vor, dass sie nur 30 Minuten vom Vertragsarztsitz entfernt sein sollen. Diese zeitliche Grenze von maximal 30 Minuten wird generell für ausreichend aber auch für erforderlich angesehen, innerhalb derer der Vertragsarzt am Vertragsarztsitz persönlich erreichbar sein muss, wenn er in ausgelagerten Praxisräumen vertragsärztlich tätig ist. Eine solche Verfügbarkeit am Institut innerhalb von 30 Minuten ist in der Pathologie nicht erforderlich, da die Probenaufbereitung zeitlich versetzt vor der Befundung erfolgt und der Ort der Befundung damit ohnehin keinen Einfluss auf die ärztliche Tätigkeit im Rahmen der vorgelagerten Probenanalyse im Institut hat. Zum anderen sind während der Betriebszeiten des Instituts jeweils fachärztliche Kolleginnen und Kollegen vor Ort im Institut tätig und damit z. B. auch für Notfälle kurzfristig verfügbar.
Bereits heute sind Pathologinnen und Pathologen außerhalb Ihres Institutes regelhaft tätig. Lediglich 164 der knapp 1900[4] Krankenhäuser verfügen über eine eigene Pathologie, bei allen anderen Häusern erfolgt die Schnellschnittdiagnostik oder auch Obduktionen vor Ort im Krankenhaus durch eine Pathologin oder einen Pathologen eines kooperierenden Pathologie-Instituts. Insgesamt sichern in Deutschland ca. 450 Institute die pathologische Versorgung der Bevölkerung. Die Distanzen zwischen Krankenhaus und Institut liegen hier gerade in ländlichen Räumen schnell über dem oben genannten 30-Minuten-Radius. Auch die Kooperationspartner von Krebszentren müssen sich in räumlicher Nähe befinden. Hier ist definiert, dass die Entfernung der Standorte zum Hauptstandort nicht über 45 km betragen bzw. maximal eine Fahrtzeit von 45 min aufweisen sollte.[5] Begründete Ausnahme sind vorgesehen und werden im Einzelfall unter anderem zur erforderlichen Einbindung einer Pathologie umgesetzt.
Für die Videosprechstunde gemäß §24 Abs. 8 Ärzte-ZV gibt es keine räumliche Vorgabe, der Vertragsarzt muss aber seinen Verpflichtungen am Vertragsarztsitz nachkommen. Bei einer vollzeitigen vertragsärztlichen Tätigkeit bedeutet dies, dass die Ärztin oder der Arzt mindestens 25 Stunden wöchentlich im Institut tätig sein muss (§19a Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV). Dadurch sind mögliche Distanzen zwischen einem Ort, an welchem Videosprechstunden durchgeführt werden, und dem Vertragsarztsitz rein praktisch beschränkt.
Räumlich Nähe für regelmäßige Präsenz und regelhafte Einbindung in den Praxisbetrieb erforderlich
Ungeachtet einer Festlegung einer bestimmten Distanz (räumlich oder zeitlich) für ausgelagerte Praxisräume, ist eine „räumliche Nähe“ zum Institut für eine regelmäßige Präsenz vor Ort und regelhafte Einbindung in den Institutsbetrieb und die Aufbereitung der Proben erforderlich, z. B. wenn sich bei der Befundung Fragen ergeben. Auch sollte der Zuschnitt und die Befundung möglichst in einer Hand liegen. Die bzw. der Befundende muss unmittelbaren Zugriff auf die zugeschnittenen Präparate und direkte Rücksprachemöglichkeit mit dem Zuschneider haben können, um Unklarheiten in der Zuordnung der Schnittpräparte zur Zuschnittsituation zu klären. In Analogie zur Regelung der Videosprechstunde muss die Pathologin, bzw. der Pathologe auch immer seinen Pflichten am Vertragsarztsitz nachkommen. Im Rahmen von Sorgearbeit sollten zeitliche befristete Ausnahmen von der regelmäßigen Präsenz ermöglicht werden.
Technische Voraussetzungen
Grundsätzlich besteht für Ärztinnen und Ärzte in Deutschland Methodenfreiheit in Diagnostik und Therapie und damit auch bei der Diagnostik an digitalen Bildern. In diesem Sinne ist das Virtuelle Mikroskop zur Diagnostik an digitalen Bildern ein Arbeitswerkzeug wie das konventionelle Lichtmikroskop. Jede Pathologin und jeder Pathologe darf dieses Instrumentarium einsetzen, sofern sie oder er nachweisen kann, dass ihre bzw. seine diagnostischen Fähigkeiten mit derartigen Verfahren, denen an Originalpräparaten unter dem Lichtmikroskop ebenbürtig sind. Hierbei kann der vom Berufsverband Deutscher Pathologinnen und Pathologen entwickelte und veröffentlichte Leitfaden Virtuelle Mikroskopie herangezogen werden, der Empfehlungen für die technischen Standards und eine entsprechende Validierung des Verfahrens gibt.
Datenschutz und Datensicherheit beim mobilen Arbeiten
Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Verarbeitung personenbezogener Patientinnen- und Patientendaten müssen durch die Vertragsärztin und den Vertragsarzt sowie ggf. beauftragte Kommunikationsdienstleister beachtet werden. Dies umfasst insbesondere die Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG), des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) sowie des Zehnten Sozialgesetzbuchs (SGB X). Die „Empfehlungen zur ärztlichen Schweigepflicht, Datenschutz und Datenverarbeitung in der Arztpraxis“ der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung können als Orientierung dienen. Im Hinblick auf die Datensicherheit müssen die technischen und organisatorischen Maßnahmen gemäß § 9 BDSG eingehalten werden.
Fazit
Mobiles Arbeiten ermöglicht eine flexiblere Arbeitsplatz- und -zeitorganisation, die den Einschränkungen und Bedürfnissen in der Lebensgestaltung der nachwachsenden Generationen Rechnung trägt und den Beruf attraktiv gestalten lässt. Damit kann dem Fachkräftemangel und den steigenden Herausforderungen in der Versorgung von Patientinnen und Patienten auch in Zukunft begegnet werden. Pathologische Tätigkeit außerhalb des Vertragsarztsitzes, z. B. im Homeoffice oder an einem Arbeitsplatz für die Schnellschnittdiagnostik ist nach der Ärzte-ZV auch im Vertragsarztrecht möglich. Hierfür können ausgelagerte Praxisräume bei der Kassenärztlichen Vereinigung angezeigt oder die Befundung als Videosprechstunde angeboten werden. Dabei ist für Pathologinnen und Pathologen die pathologisch-anatomische Befunderstellung einer Videosprechstunde gleichzusetzten. Eine regelmäßige Präsenz im Institut bzw. die Verpflichtungen der Ärztinnen und Ärzte am Ort des Vertragsarztsitzes, eine geeignete technische Ausstattung und die Anforderungen an den Datenschutz und die Datensicherheit sind dabei zu beachten.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. med. Karl-Friedrich Bürrig
Präsident
Kontakt
Berufsverband Deutscher Pathologinnen und Pathologen e. V. | Berlin
www.pathologie.de | E-Mail: bvpathologie.de | Tel.: +49 30 3088197 0
Disclaimer
Das vorliegende Positionspapier beschreibt die versorgungspolitische Position des Berufsverbandes Deutscher Pathologinnen und Pathologen. Aus der Rechtsauffassung der lokal zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung resultieren ggf. lokal unterschiedliche Genehmigungsvorbehalte, Unterlassungsaufforderungen und Versagensgründe, die vor Ort zu besprechen sind. Der Berufsverband haftet nicht für etwaige Rechtsfolgen.
[1] BSG Urteil B 6 KA 23/ 14R vom 13.05.2015, Leitsatz 2
[2] BSG Urteil B 6 KA 23/ 14R vom 13.05.2015, Grund Nr. 22 Satz 1.
[3] Vgl. BSG, Urteil vom 06.04.2022, Az.: B 6 KA 12/21R
[4] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Krankenhaeuser/_inhalt.html (Daten 2022)
[5] https://www.onkozert.de/informationen/kooperationen/